Inselkunst

Gerhard Josten, Aljechins Gambit [Nachdruck aus Rochade 7/11]

1. Da steht er nun, der arme Rezensent, mit einem Buch und einer persönlichen Widmung. Hudelt er es zu sehr in den Orbit, heißt es gleich, er wäre Auftragshudler. Holt er die Kettensäge raus, wäre das grob unhöflich gegenüber dem Autor. Beginnen wir also geschickt mit den zweifelsfreien Fakten.
Das Buch hat 152 Seiten. In einem Zeitalter, wo Literatur nach Megatonnen verkauft wird, und jede Nichtigkeit zu Zyklen aufgeblasen (der Leser wird diese Ecke der Rochade eher von Sachbüchern kennen, doch wahrlich, ich sage Euch, die Blähseuche der Belletristik wird früher oder später auch auf Sachbücher übergreifen - gerade im Bereich Schach dauert es zehn Sekunden, eine Seite mit Computerengine-Kommentaren zu füllen), ist dies angenehm kurz. Denn nur abgebrühte Leser bringen es fertig, ein Buch anzulesen und später bei Nichtgefallen in die Ecke zu pfeffern. Das wäre, als gäbe man eine Partie schon nach der Eröffnung auf. Sollte dieses Buch Ihnen nicht gefallen (im Gegensatz zu mir), nun ja, dann haben Sie ungefähr den Zeitgegenwert einer ganzen Turnierpartie verplempert.
Das Buch ist in einem Kleinverlag erschienen. Positiv bemerkbar macht sich die schöne Aufmachung mit solidem Einband und sogar mit original Kunst am Buch auf dem Titel. Weniger schön sind ein paar sehr ins Auge springende Druckfehler (nicht daß in einem Großverlag, der seine Lektoren nach Bangladesh outsourct, die Sache besser gemacht würde...äh, was muß ich da lesen? Lightning Source UK? Ach soooo...), die aber in einer 2. Auflage (ein Grund mehr zum Kauf) leicht beseitigt werden könnten. Der Rezensent ist hier von Natur aus ein wenig pingelig, da er als Wissenschaftler häufig Fahnenkorrektur liest, und den Leser sollte das nicht ablenken.

2. Gerhard Josten ist nicht Dan Brown. Zwar kann man auch dieses Buch dem Genre Krimi/Thriller zuordnen: Ein örtlicher Kommissar untersucht den doch sehr fischig riechenden Tod von Aljechin (und daß da ein ganzer Weißer Hai begraben liegt, macht der Autor überzeugend deutlich) - aber falls Sie jetzt erwarten, daß Aljechin von Außerirdischen entführt und ein Klon als Leiche zurückgelassen wurde, und der Untergang der Menschheit droht, falls der echte Aljechin nicht gefunden wird...wer kichert da auf den billigen Plätzen? Ich kenne ein bis zwei Science-Fictions, die diesem meinem Spontanplot bedenklich nahe kommen.
Im übrigen bleibt es bei der einen Leiche (was Splatterfans sehr anöden dürfte - das einzige, was Gewalt auch nur nahekommt, ist der Wutausbruch des Kommissars gegenüber dem sich bedeckt gebenden Hotelangestellten), dafür entwickelt der Autor bzw. sein Kommissar eine blühende Phantasie, wer bei Aljechins Tod nachhelfen hätte können. Ungefähr die halbe Menschheit ist verdächtig (OK, der Autor selbst hat wohl ein Alibi, er war da erst 8 Jahre alt ) - was Wunder, ist doch der zweite Weltkrieg gerade vorbei und z.B. Nazis, Kommunisten, Resistance und als Draufgabe die eine oder andere Ehefrau kämen in Frage. Aber Sie werden es nicht rauskriegen, wer es war, obwohl eine reichhaltige Mischung von Theorien, die selbst de.alt.soc.verschwörung überzeugen könnten, zur Auswahl steht. (Als kostenlose Draufgabe meine eigene Theorie: Googeln Sie doch mal Bilder von Aljechin und dem Kabarettisten Matthias Beltz. Verdächtig, verdächtig!!)
Nun denn. Ich bekam es auch nicht raus. Dabei bin ich kein schlechter Hilfssheriff - Jorge aus "Der Name der Rose" hatte ich schon nach der Hälfte der Story festgenagelt. (Übrigens kenne ich da so einen Krimi namens "Landschaft mit toten Deans" oder so, da hat der Autor britisch-fair gespielt und auf der ersten Seite schon ganz offen den Mörder genannt - nur sieht man es mit eigenen Augen nicht. In gewisser Weise hat Gerhard Josten diesen Rekord noch übertroffen, kicher kicher.)

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