Inselkunst

Das Damengambit (Netflix-Miniserie)
Anmerkung der Red.: Diese Serie ist FSK 16, und das zu Recht - (psychische) Gewalt, Drogen, unanständige Sprache, Sex (pfuibäh). Bitte lest nicht weiter, Kinder
Selten wurde "Schach im Fernsehen" lober gepreist. Und dann auch noch so volle Möhre woke: wie viele Mädchen haben deswegen mit dem Schach angefangen...Letzterer Verdienst ist dieser Serie nicht zu nehmen, aber HRs schneidender Tonfall lässt schon Übles ahnen.
Dann schießen wir uns mal ein. Die allererste Szene: Die Protagonistin Beth plätschert lustig in der Badewanne. OK, OK, es ist ein Ami-Film: sie tut dies fast voll angezogen. Ihr fast erstes Wort ist nicht "Firetruck", aber so ähnlich. (HR hat natürlich das Original gesehen, nicht das jemand mit "die miese Synchro ist schuld" ankommt.) Damit hat der Film schon mal keinen guten Ersteindruck bei HR gemacht, weil chess is better.
Beth kommt als Kind nach dem Selbstmord ihrer Mutter ins Heim, wird mit Tranquilizern vollgepumpt und hat davon noch später eine Alkoholabhängigkeit fürs Leben (es waren halt die Fuffziger, Amiland hat seine natürliche Widerwärtigkeit erst unter Trump wieder erreicht). Sie entkommt nur dank Schach (Klischee, ick hör dir trapsen, wir brauchen NICHT den zehnten Genesis Potini, einer war perfekt und reichte). Danach arbeitet sie sich an die Schach-Spitze hoch und hat en passant ein paar kaputte Beziehungen, damit man noch mehr überflüssige "gewagte Szenen" einbauen kann. Und immer, wenn sie von dem Commie-Schachroboter GM Borgov (1/3 Botwinnik, 1/3 Karpov, 1/3 freie Erfindung; ironischerweise fast der einzige Gentleman inklusive -woman im Film) geknechtet wird, weil sie mal wieder zuviel gebechert hat, passiert auch eine häusliche Katastrophe. Das nennt sich jetzt Symbolik und ist eine speziell bei Amichristen anzutreffende Wahnvorstellung, gegen die nur 3x schnell hintereinander "Die Reise nach Terabithia" ansehen hilft.
Die Schauspielerin wurde extrem für ihr Spiel lobgehudelt, HRs Ansicht ist eher, daß sie ein verstörend glotzäugiges Gesicht hat, was hart am Rande des uncanny valley navigiert, und 90% der Laufzeit 1 genau dazu passenden Gesichtsausdruck, den man bei Soldaten unter Schock als 1000 yard stare bezeichnet (deutsch vielleicht "Kuh wenns donnert").
Schachlich ist der Film exzellent (wann sah man je so realistische Turnierszenen - naja, vielleicht sollten die Spieler aber nicht im Tempo von HR blitzen), nur bei "1700" guckte HR etwas schief, denn die hatte er in dem Alter vielleicht selbst schon, und Beth spielte ersichtlich deutlich besser...aber vielleicht waren es 1700 USCF, das sind nämlich keine ELO. Nur bei einer Sache schlug der Hass auf die bösen Commies seinen eigenen Herren: Die Filmaussage "Beth hat auch Männer verdroschen, die sowjetische Heroine Nona Gaprindaschwili hat nur gegen Frauen gespielt"...eine Lüge von Trumpscher Dreistigkeit, und Netflix hat prompt eine Verleumdungsklage von Nona kassiert. Verklage einen, erziehe hundert, mögen sie blechen.
7 Stunden verschwendete Zeit, die beste Szene vielleicht: Benny ist ein Blitzcrack, der sein Geld damit verdient, um selbiges zu blitzen, und ledert Beth erstmal völlig blank. Jahre später trainiert sie in seiner Wohnung (sagte ich Wohnung? Er kennt alle Kakerlaken mit Vornamen) und sie nimmt süße Rache. Und die darauffolgende Wendung der Dinge ist so unglaubwürdig, daß es schon wieder lustig ist. Man muss es selbst sehen, um es zu glauben...
Coda: Nannte ich den Potini nicht mal "giuco piano"? Im Kontrast ist "Das Damengambit" - nein, nicht Damengambit, sondern Blackmar-Diemer - effekthascherisch, inkorrekt und politisch vorbelastet. Ich hoffe, das schon 40 Jahre alte Buch ist besser.
wL bK

HR

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