Opfer der Schachgöttin (DAS ENDE)

Der Junior spielt in einem Bundesligaverein, in den ihn ein alter Bekannter geholt hat, der erst 25jährige Internationale Meister Peter Blattmacher , ELO 2460. Der pfiffige Rheinländer ist der einzige IM, der wirklich von seinen Schacheinkünften leben kann. Stolz zeigt er uns, penibel aufgelistet, sein monatliches Einkommen 1990: Jan. 4120; Feb. 1420; März 3775; Apr. 4420; Mai 2555... Im September ware es gar 4980 Mark. Seine gesamten Schacheinnahmen 1989 betrugen 35800 Mark. Im Prinzip hat er dieselben Geldquellen wie der bescheidene IM-Kollege Mahlmann: Bundesliga, Turnierpreise, Zeitschriftenbeiträge und Simultanpartien. Aber Blattmacher holt mehr heraus. In seiner ansonsten mit Großmeistern besetzten Bundesligamannschaft bekommt der Tausendsassa 10000 Mark im Jahr. Für Schachtraining kassiert er bis zu sechzig Mark von Damen der oberen Zehntausend, bei Simultanveranstaltungen, wo er etwa gegen zwanzig Bankangestellte antritt, verlangt er mindestens 500 Mark.
Auch Blattmacher ist vaterlos aufgewachsen, auch er war als Elfjähriger vor allem deshalb vom Schach begeistert, weil er mit dem neu entdeckten Spiel "alte Oppas" beim Parkschach kleinlaut machen konnte. Er verließ die Schule nach der mittleren Reife, wurde während seiner Lehre bei der Post deutscher Jugendmeister und machte sich dank seines Schachs auch bei der Bundeswehr, wo er nur an zwei Tagen Dienst hatte, eine schöne Zeit. Heute hat dieser Sonnyboy des Schachs im Gegensatz zu den meisten seiner Klein-Meister-Kollegen sogar eine (sehr attraktive) Ehefrau, die wunderbarerweise auch noch selber (gut) Schach spielen und deshalb die Tage als Turnierwitwe ertragen kann. Was sie freilich nicht so gut verträgt, ist eine Leidenschaft, die ihr Peter mit vielen Kollegen teilt: Glücksspiel und Zockerei. Merkwürdigerweise lieben Schachdenker häufig auch Zweikämpfe, in denen nicht allein das eigene Hirn, sondern das Glück entscheidet. Während die meisten Matadore am liebsten beim Würfel-Strategie-Spiel Backgammon um hohe Einsätze zocken, spielt Blattmacher oft bis morgens um vier Poker oder das jugoslawische Würfelspiel Jammen. Sobald das freilich seiner Frau und "ihm selbst" zu wild wird, legen die beiden eine "Disziplinierungsphase" ein. Mit Fastenkuren bekämpft der clevere Spieler seien Wohlstandsbauch, mit bnürgerlicher Arbeit die Zockerseele. Er kann jederzeit bei seinem ehemaligen Lehrmeister, der Deutschen Bundespost, als Briefträger arbeiten. "Da fange ich morgens um sieben an und kann natürlich nicht die Nächte durchzocken."
Unter diesen Bedingungen will sich das Paar demnächst einen weiteren, in Schachkreisen höchst seltenen Wunsch erfüllen: ein Baby zu bekommen und zu einer richtigen bürgerlichen Familie zusammenzuwachsen.
Ohne Schachwunderkind.

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