An die Zeitnot (Frei frisiert nach Anton Petzold) 1 Es war im Schachklub Wilhelmsburg Am Bistro-Tisch im Seitengange. Da spielten Schach zwei junge Herrn Die spielten stark und auch recht lange. War eine Stunde um im Flug, Tat einer manchmal einen Zug, Denn jegliche Bewegung Im Schach braucht Überlegung! 2 Die Schar der Zocker ging nach Haus Beim Schall der Mittnachtsglocken. Heiner dreht schon die Lichter aus, Die beiden blieben hocken. Beim Kerzenscheine spielten sie An ihrer langen Schachpartie. So alle zwei, drei Stunden Ein Zug hat stattgefunden. 3 Sie spielten Tag um Tag fürwahr, Schon kam die Wochenwende. Der Mond verfloß, es schwand das Jahr, Das Spiel ging nicht zu Ende. Sie sagten nichts, sie sprachen nichts, Nur manchmal blassen Angesichts Sie nach dem Kühlschrank forschten, Damit sie nicht verdorschten. 4 Ihr Haar ward weiß, dann fiel es aus, Die Zähne sah man scheiden. Großväter wurden sie zu Haus, Doch wußten's nicht die beiden. Das Ohr ward taub, das Aug' ward schwach. Und manchmal krächzte einer "Schach!", Dann zog der andre Streiter... Und die Partie ging weiter. 5 Doch eines Tags der Sensenmann Zur letzten Zeitkontrolle Mit schnellem Schritte kam heran, Nicht lassen konnt's der olle. "Nun folget mir", so sagte er. "Das geht nicht, sind beschäftigt sehr". "Muß erst den Springer decken, Und einen Plan aushecken". 6 "Was soll's, das Spiel ist eh bald matt!", So meint' der Sensenmanne. Stimmt nicht, schon wandte sich das Blatt. Der Tod, der wär' 'ne Panne. "Man läßt uns spielen nicht in Ruh'". Drum bot Remis der eine. "Verrückt? Was winselst du? Sieh zu! Und Frieden schließ ich keinen!"
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