Die Filme, die ich mir neulich ansah, gehörten zu den 87,349%. Deshalb kam auch nun auch sofort Spannung auf. Denn statt nun über die richtige Erwiderung auf den Zug des Grinsers nachzudenken oder wenigstens aufs Klo zu laufen, wo der umsichtige Schachspieler immer ein paar Bände Eröffnungstheorie versteckt hat, nahm der Angegrinste seine Brasil zu 2 Mark aus dem stinkordinären Mund, klickte bedeutungsvoll mit den Eiswürfeln im Whiskyglas und begann über den bevorstehenden Coup zu reden. (Wie gesagt, es handelte sich um die 87,349 Prozentfilme.) Mein Freund, der Filmforscher, hat allerdings erkundet, daß sich von dieser Stelle ab die 87,349 Prozentfilme und ihre Darstellung des königlichen Spiels erheblich voneinander unterscheiden. Dann mal ist der Coup ein Mafia-Mord, mal ein Bankraub mit Pfiff, mal geht es um Spionage. Jedenfalls um große Dinger, zu denen man Grips braucht und nicht nur Fäuste. Das unterscheidet die großen Gangster eben von den kleinen Gangstern: also daß die einen Grips haben und die anderen nicht, sowie daß die einen Schachspieler sind und die anderen nicht.
Und nun sage mir nochmal einer, daß die Schachspieler - zumal in den 87,349 Prozentfilmen - schlecht wegkommen.
Aber ich wollte ja von den Filmen, die ich sah, erzählen.
Während der Grinser und der Angegrinste also ihren Coup besprachen, gingen ihre Hände wie mechanisch ans Brett, und sie machten irgendwelche Züge. Ich fing langsam an, mich zu ärgern über die Kerle, denn sie waren bei diesem Schachspielen-Coup-Aushecken-Whisky-Trinken weder dazu zu bewegen, sich genauer mit der Stellung auf dem Brett zu befassen, noch den Gegner bewegen guter oder schlechter Züge zu beschimpfen, noch aufs Klo zu laufen, um die Theorie zu konsultieren, wie es unter ernsthaften und anständigen Schachspielern üblich ist.
Ja, und dann verschlechterte sich die Stellung des Grinsers zusehends. Er soff immer mehr Whisky, bis er anscheinend die Rettung erspähte, besonders breit grinste und, wie es sich für einen echten Snob-Schächer gehört, der es nichtmal für nötig hält, aufs Klo zu laufen, auch noch "Gardez!" brüllte, wobei er sich in den Ausführungen über den Coup unterbrach.
Der Angegrinste schien für Sekundenbruchteile wie erstarrt. Länger nicht. Dann legte er seine Vorstellungen über den Coup unverdrossen weiter dar, lief auch nicht aufs Klo, schilderte den entscheidenden Teil des Coups, der ihn zu einer totsicheren Sache machte, fuchtelte mit dem Turm in kreisenden Bewegungen übers Brett, setzte ihn krachend nieder und verkündete mit feierlicher Stimme: "Matt!"
Der Grinser konnte nicht mal mehr mit den Eiswürfeln klicken, denn die waren inzwischen weggeschmolzen. Statt dessen fegte er mit dem Arm die wertvollen Glasfiguren vom wertvollen Glasschachbrett auf dem wertvollen Glastisch. Als dabei keine der wertvollen Glassachen in die Brüche ging, wurde mir endlich klar, daß die Darstellung des Königlichen Spieles in den 87,349 Prozentfilmen ziemlich unglaubwürdig ist.
Übrigens flog der totsichere Coup zum Schluß doch auf.

Karsten Ohl, aus IS 10

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