Wichern-Open 1999

Mit einem Haufen Remisen gewinnen

Das fünfte Wichern-Open in Hamburg war offensichtlich stärker besetzt als das letzte, 30 GMs hatten sich in die Besetzungsliste eingetragen. Ich beschloß die Über-2500-Liste mit der Nummer 26. Macht 2*13 für die Gläubigen, und ich schließe mich den meisten Schachspielern an, für die “Deibels Dutzend” ein Glücksbringer ist.
Aufgrund dieser beeindruckenden Teilnehmerliste entwickelte sich der Turnierverlauf auf eine Weise, die mir charakteristisch für solch starke Schweizer-System-Turniere erscheint: viele interessante Kämpfe, haufenweise Fehler, und nicht “brilliantes” Spiel ist erfolgreich, sondern Aufrechterhalten von Druck und Spannung während des gesamten Turniers. Der Gewinner eines solchen Turniers bekam meist eine Schippe mehr Glück eingeschenkt.
Ich wurde um “ein paar Worte” gebeten, und entschied mich dafür, nur meine eigenen Eindrücke und Partien zu schildern, und zwar aus den folgenden Gründen: es ist viel einfacher, man tritt gewöhnlich keinem auf den Schlips, und andere sollen sich selbst kommentieren - sie machen es sicher besser.
Ich nahm zum zweiten Male am Wichern-Open teil. Und das zweite Mal war es ein Erfolg und eine große Freude für mich. Dies geht zum großen Teil darauf zurück, daß ich beide Male privat untergebracht war - ich lebte bei den Familien der Turnierteilnehmer. Ich muß sagen, daß ich noch nie so eine Gastfreundschaft genossen habe - ich fühlte mich wie ein weiteres Geschwister der Familie. Man zeigte mir Hamburg: den Hafen, den Michel, den Elbtunnel und noch mehr, und ich liebe wirklich diese wunderbare Stadt. Ich denke, unter diesen Bedingungen ist man zum Erfolg verdammt.
Vor dem Turnier sah ich die vielen GMs als Favoriten an, speziell I.Novikov, E.Rozentalis, V.Eingorn, Y.Yakovich, G. Giorgadze, Z. Sturua und andere. Aber das Charakteristikum des Schweizer Systems ist es unter anderem, daß man nicht gegen alle ELO-Monster spielt und die Favoriten des öfteren untereinander remisieren, so daß man mit einem Sieg in ein, zwei dieser Begegnungen gute Chancen auf den Turniersieg hat.
Ich hatte eine Menge Glück in diesem Turnier: zum einen in der ersten Runde, wo ich zu einem Zeitpunkt sogar verlieren konnte. Ich gewann in beiderseitiger Zeitnot, nachdem mein Gegner ein Remisangebot ablehnte. Somit besiegte ich in den ersten drei Runden drei deutsche Amateure. Ich möchte hier ein paar meiner Eindrücke über die deutschen Amateure teilen. Sie spielen meistens sorgfältig und gründlich und haben ein gutes Positionsverständnis, aber erstens mögen sie keine komplizierten taktischen Verwicklungen und zweitens glauben sie nicht daran, einen Titelträger besiegen zu können und tun es nur, wenn man sie förmlich dazu zwingt. Aber warum? Der Unterschied zwischen uns ist gar nicht so groß. Natürlich, GMs sind Profis, aber ein Amateur hat oft einen unvoreingenommeren Blick und kann einfallsreicher sein. Man beachte den großen psychologischen Druck: ein GM muß gewinnen und kann nicht verlieren! Ein Amateur kann zu seinem Vergnügen spielen. Nach einer Niederlage gegen einen Amateur sagen viele GMs in etwa: “Ich gebe ihm nicht mehr als 2 Punkte in einer Serie von zehn Spielen. Das war der erste.” Egal, wie dicht oder wie weit dies von der Wahrheit entfernt ist, was soll‘s - es gibt nur eine Partie, und glauben Sie mir, oft hält nur ein Mangel an Willenskraft einen Amateur vom Siegen ab.
Die vierte Partie war ein Remis gegen GM Rogers. Ich war unzufrieden mit der Partie, weil ich besser stand, aber ich mußte ins Endspiel abwickeln, um der sich ankündigenden Zeitnot aus dem Weg zu gehen, dann fand ich nicht die besten Fortsetzungen und nach schweren Verwicklungen endete die Partie remis.
Ich habe zwei Partiefragmente zwecks Kommentierung ausgewählt. Beide illustrieren das gleiche Hilfsmittel, welches schön in den Büchern von Schachtrainer M. Dvoretsky beschrieben wird: eine versteckte Falle, die sich in den allgemeinen strategischen Plan einfügt.

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