Dann spielt er aber ungenau weiter, ich erhalte die Initiative und habe plötzlich eine großartige Idee: Erst den Turm opfern, dann auch noch den Läufer und anschließend Matt setzen. Geht das wirklich? Ich rechne nochmal nach und vorsichthalber nochmal und merke gerade noch, dass meine Bedenkzeit in wenigen Sekunden aufgebraucht ist. Es hilft alles nichts – volles Risiko: Erst den Turm opfern, jetzt kommt der Läufer und tatsächlich setzt die Dame matt! Ich bin begeistert von mir selbst. Petr teilt diese Begeisterung ganz offensichtlich nicht, gibt mir wortlos die Hand und verlässt den Waggon.
Drei Punkte aus fünf Partien katapultieren mich auf Platz 15. Das wäre ein so großer Erfolg für mich, dass ich der Turnierleitung vorschlage, das Turnier jetzt zu beenden. Diese lost aber einfach grinsend die nächste Runde aus, was mir zeigt, dass mein Vorschlag nicht mehrheitsfähig war.
Bei strahlendem Sonnenschein und ringsum von Schnee bedeckten Bergen ist Innsbruck ein Traum. Die Touristen drängen sich vor dem Goldenen Dachl, aber zum Glück gibt es eine Reihe weiterer Sehenswürdigkeiten wie die Hofburg, die Triumphpforte oder die vielen engen Gassen, die nicht so überlaufen sind.
Am Sonntag erhält die Turniertabelle mit den Runden 6 und 7 deutliche Konturen. Die Favoriten haben sich unter den ersten 10 Plätzen eingefunden, dabei auch die beiden Großmeister. Für mich ist die Punktausbeute an diesem Tag übersichtlich: Gegen noch einen Karel – es scheint fast so, als dass Vornamen in Tschechien einmal sehr knapp gewesen sein müssen – erreiche ich durchaus beachtliches Remis, aber in der 7 Runde gegen Volker aus Eutin gibt es für mich nichts zu holen.
Mittags wird der Hauptbahnhof von Salzburg erreicht, der gerade einer Komplettrenovierung unterzogen wird. Noch nicht ganz abgeschlossen lässt sich aber dennoch gut erkennen, wie hell und einladend der Verkehrsknotenpunkt demnächst aussehen wird.
Nachmittags haben die meisten Reisenden die Festung Hohensalzburg auf der Agenda, die an diesem Tag eine beeindruckende Sicht auf die Stadt und die umliegende Bergwelt gewährt. Bereits seit 1996 steht das Stadtzentrum auf der Liste des Weltkulturerbes. Salzburg ohne Mozartkugeln wäre irgendwie nicht komplett und so decken sich die Schachspieler mit einem ausreichenden Vorrat ein. Wer etwas auf sich hält, nimmt aber nicht die rot-goldenen, sondern die einzig originalen blau-silbernen Kugeln aus dem Cafe Fürst. Das ist aber gar nicht so einfach, denn das Geschäft ist so voll, dass sich bereits vor der Tür eine Schlange gebildet hat.
So allmählich geht mir die schachliche Puste aus: Gegen Jan aus der Ukraine gibt es ein Remis, aber gegen Ada aus Holland setzt es noch eine Niederlage. Eigentlich war in der Partie kaum etwas passiert, bis ich mir einbildete, einen Bauern gewinnen zu können. Leider übersah ich dabei die Falle, die mir meine Gegenspielerin gestellt hatte, denn nachdem mein Läufer besagten Bauern geschlagen hatte, fing sie meine Figur ein und mir verging die Lust am Weiterspielen.
Über diesen Anfängerfehler konnte ich mir dann allerdings nicht lange Gedanken machen, denn das Reiseziel am Montag entpuppte sich als der Höhepunkt der Reise. Das außerhalb von Tschechien weitgehend unbekannte CeskyKrumlov (Böhmisch Krumau) in Südböhmen ist auch Weltkulturerbe. Es bietet ein wunderschönes Panorama mit exzellent erhaltenem, mittelalterlichem Stadtkern in einer Schleife der Moldau und darüber thronendem Schloss, immerhin dem zweitgrößten Burg- und Schlosskomplex in Tschechien. Vom Schlossturm hat man einen beeindruckenden Blick auf die Stadt und ihre Umgebung.
Wir kaufen uns einheimisches Gebäck mit dem unaussprechlichen Namen Trdlo und schlendern durch die Gassen hinauf zum Schloss. Für den Abend gibt es eine große Auswahl netter Restaurants und für danach den Bierkeller "Katakomby", in dem man sich wie ein echter Ritter fühlt.

36


Seite 35 INSELSCHACH 145 Seite 37