87 Schachspieler und 50 Begleitpersonen versammeln sich zu einem Frühstück im altehrwürdigen Regierungssalon im historischen Teil des Prager Bahnhof HlavniNadrazi. Die meisten kommen erwartungsgemäß aus Tschechien, viele aus anderen Ländern Europas, aber auch einige von weit her wie z. B. den USA, Mexiko oder Brasilien. Unter den Teilnehmern – und bisher jedes Mal dabei – sind der tschechische Großmeister Vlastimil Hort und der slowakische GM Jan Plachetka.
Direkt vor dem Salon auf Gleis 1 wartet schon der hellblaue Sonderzug mit seinen zehn Waggons. Diese sind dem Anlass angemessen nach den ersten zehn Schachweltmeistern benannt, über Wilhelm Steinitz, Emanuel Lasker und Michael Tal bis zu Boris Spassky, der aber als 10. Weltmeister lediglich Namensgeber des Gepäckabteils ist.
Pünktlich wie auch während der gesamten Reise geht es los. Die Spieler finden sich an den ausgelosten Brettern ein und starten das Turnier. 20 Minuten Bedenkzeit pro Spieler und Partie sind bei diesem Schnellschachturnier vorgesehen. Es geht also zügig zur Sache und das ist auch notwendig, um insgesamt elf Partien während der Fahrtzeiten des Zuges zu spielen. Das Feld ist stark besetzt mit einigen Profis, ambitionierten Amateuren und solchen Spielern, die, sagen wir es mal so, ihr schachliches Potential bisher noch nicht voll ausgeschöpft haben. Zu dieser Gruppe zähle auch ich und finde wie erwartet meinen Namen dann auch im letzten Drittel der Setzliste. Es wird also ein ganz schweres Turnier.
Zu meiner großen Freude weist mir die Auslosung ein Brett im ersten Waggon "Steinitz" zu, so dass ich mich für einen Moment so fühle als würde ich zu den Favoriten gehören. Die Atmosphäre ist locker, Meister und Amateure klönen über dies und das. Mein Gegner ist leider keiner der Großmeister, sondern Alex aus Pittsburgh, USA, der am Ende den zweiten Platz belegen wird. In der Partie zeigt er mir zügig meine Grenzen auf. Alex bekommt den Punkt und ich ein paar hilfreiche Tipps für die kommenden Partien.
In Runde 2 geht es gegen den Tschechen Karel aus Brünn. Mir gelingt nach einer schönen Kombination ein sicherer Sieg. Karel spricht sehr gut Englisch und wir halten nach der Partie noch einen ausgedehnten Plausch über Schach, Tschechien und das schöne Wetter.
Petr aus Vysehrad ist mein Gegner in der dritten Runde. Er steht in der Setzliste rund 40 Plätze über mir, so dass ich eigentlich keine Chance haben dürfte. Ich suche mein Heil in der Flucht nach vorn, opfere Figuren en masse und könnte ihn in zwei Zügen Matt setzen, wenn, ja wenn nicht er am Zug wäre. Mit einem geschickten Gegenopfer erreicht er ein Dauerschach, die Partie endet also remis. Petr lobt mich für eine starke Angriffspartie und bestätigt, dass er nur mit viel Glück die Niederlage verhindern konnte. Trotzdem ist der erste Schachtag aus meiner Sicht erfolgreich. 1,5 Punkte aus 3 Partien sind mehr als erwartet.
Nach den Partien werden in den Speisewagen täglich zwei Mittagsmenüs angeboten. Das Essen ist wirklich gut und für deutsche Verhältnisse auch sehr günstig. Unglaublich schnell ist dieser Vormittag vergangen und schon ist die erste Station Regensburg erreicht. Die wunderbar erhaltene Altstadt hat als herausragendes Beispiel eines binneneuropäischen mittelalterlichen Handelszentrums den Titel UNESCO Welterbe erhalten.
Die Passagiere nehmen ihr Gepäck in Empfang und checken in das über den Veranstalter oder individuell gebuchte Hotel ein. Der Rest des Tages steht für die Stadtbesichtigung zur Verfügung, was die Mitreisenden auch ausgiebig nutzen.
Am Samstagmorgen steht der Zug auf demselben Gleis bereit und es geht weiter zur Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck. In Runde 4 treffe ich auf den zweiten Karel, der für denselben Verein wie mein Gegner Petr vom Vortag spielt und von diesem anscheinend gewarnt wurde, mich nicht zu unterschätzen. Jedenfalls rührt er gleich zu Beginn reichlich Beton an und auch ich wage mich kaum aus der Deckung. Logische Folge ist eine sehr langweilige Partie, die mit einem schnellen Remis endet.
In Runde 5 habe ich es mit noch einem Tschechen und noch einem Petr zu tun. Dieser kommt allerdings aus Prag und ist aber ähnlich stark wie der erste. Er setzt meinen König massiv unter Druck und ich fürchte, dass ich nicht mehr lange standhalten kann.

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