Inselkunst

Schachfieber (Russischer Stummfilm von 1925)
Klischees haben die Eigenschaft, daß sie sowas von zutreffen. In Russland war Schach von jeher ein Volkssport, und erst die geistig-moralische Wende...eh, halt, das war Deutschland. Anyway. In diesem Film ist der Held hin- und hergerissen zwischen Schach und seiner Freundin. Das kann nicht gut gehen. Schon das Rendezvous verpennt er vollfett (und ist dabei gar nicht nett zu den ca. 200 flauschigen Kätzchen, die mit in seiner Wohnung leben und ihm aus allen Ärmeln rieseln, was beim Anziehen nicht eben hilfreich ist). Auch die Bevölkerung ist hoffnungslos dem Schach verfallen – zum Glück, denn die verschmähte Freundin besorgt sich aus Verzweiflung in der Apotheke Gift – und der Apotheker, der genervt ist, daß man ihn beim Schach stört, packt ihr aus Versehen eine Schachfigur ein. Schließlich trifft sie zufällig Capablanca, der nicht nur Weltmeister, sondern auch bekanntermaßen Poussiermeister ist. Der kann sie dann von der Schönheit des Schachs überzeugen. Große Versöhnungsszene auf großem Turnier mit lauter Originalmeistern der Ära. (Auf dem übrigens, kotz würg, die Meister hemmungslos beim Spielen paffen. 'Swarhalt 1925.)
Regisseur Shpikovsky tutet seine Verehrung für Chaplin et al. nie verhehlen, und der Film enthält entsprechend schreiend komische Slapstick-Gags. Eine halbe Stunde epic win.
wK sK

HR

2065 - Die überleben wollen

Hier ist der Hirnfunkkanal DBD2 mit einer Liveschaltung von den Schachweltmeisterschaften der Ü100. Es spricht Ihr Reporter Digger. Wir stehen kurz vor einer Sensation. Der völlig unbekannte H. Reddmann, nur ein FIDE-Meister, spielt schon seit fast 100 Jahren ein grausliges Kaffeehausschach von vor 200 Jahren, aber die GMs kommen in dem Alter nicht mehr damit klar. Wenn er die entscheidende Partie gegen den Großrussen Protopopopopov gewinnt, ist er Weltmeister! Und alles sieht danach aus, denn er braucht nur noch mit Läufer und Springer mattzusetzen. Daß Protopopopopov überhaupt noch weiterspielt! Entweder glaubt er, daß Reddmann vorher tot umfällt, haha, oder daß er in 100 Jahren die Mattführung vergessen hat. Aber es sieht nicht danach aus, Reddmann spielt das "W" im Sekundentakt herunter, als hätte er eine Tablebase eingebaut. Haha. Natürlich wurden die Spieler schärfstens auf Computerhilfe kontrolliert, wahrscheinlich haben NUR Leute im Ü100-Alter noch keinen serienmäßigen Hirncomputer eingebaut, und der schwedische GM Hundsammerson, der sich für besonders schlau hielt, durfte gleich wieder nach Hause fahren, ein neuer Scanner hatte seinen gut versteckten Hirnchip entdeckt. Und jetzt ist der König in der Ecke a8 gelandet, Reddmann hebt seinen Läufer und...O Gott, was ist das? Reddmann faßt sich ans Herz und bricht über dem Brett zusammen. Der Läufer entgleitet seiner schlaffen Hand, rollt auf das Mattfeld zu und bleibt einen Millimeter davor liegen. Ärzte sind in den Turniersaal geeilt. Einer schüttelt den Kopf. Damit bleibt Protopopopopov Weltmeister und die Sensation aus. Tja, wie sang der vor 75 Jahren verstorbene Punksänger Johnny Thunders so schön: Maybe I was born to lo-hose...Wir schalten zurück in die Zentrale. Eine Eilmeldung. Megaamerikanischen Wissenschaftlern ist es endlich gelungen, einen Hirnchip so zu konfigurieren, daß die Persönlichkeit des Nutzers speichern kann. Laborleiter Eternus Ahasver: "Nein, wir haben nicht die 'Unsterblichkeit erfunden', wie es die Sensationsblogs überall herumposaunen, aber es kommt der Sache schon hübsch nahe."

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