Das große Inselkunst-Doppelpack

Ulrich Geilmann, Aljechin - Leben und Sterben eines Schachgenies/Aljechins Ring - Operation Botwinnik

"Genug Stoff für zwei Leben!" GM Rustem Dautov im Vorwort zu Buch 1
"Aber auch für zwei Bücher?" Der Rezensent

Buch 1
Werter IS-Leser, schon sind Sie mir in die Falle getappt. "Zwei Bücher" meint nicht etwa die zwei Bücher. Geilmann hat sich nämlich vorgenommen, daß seine beiden Bücher selbst zwei Bücher in einem sind: je ein historisch-biografisches und ein belletristisches.
Das ist durchaus ein riskantes Unternehmen. Was meiner Meinung nach schiefgegangen ist. Obwohl man merkt, wie der Autor detailversessen recherchiert hat (schwer ist der Versuchung zu widerstehen, sofort zur nächsten Suchmaschine zu rennen, um Wahrheit und Fiktion zu trennen), um Aljechins Leben in Streiflichtern zu erhellen, kann der "reale" Teil der Bücher nur ein Appetithappen sein, aus dem bereits von Dautov genannten Grund. (Weiteres Herumsuchen ergab übrigens in deutscher Sprache nur das Werk von Daniel, und auch das wurde prompt als das Leben Aljechins nur anreißend benörgelt - die endgültige Biographie steht also immer noch aus, vielleicht erbarmt sich ja mal Robert Hübner?).
Bleibt also der belletristische Teil. Und da muss ich meckern, der Stil des Autors ist mir ein wenig zu hölzern, was wiederum im realen Teil gar kein Problem gewesen wäre. Er kann sich auch nicht damit herausreden, kein Literaturprofi zu sein - das ist Gerhard Josten auch nicht, doch sein von den formalen Voraussetzungen sehr vergleichbares Buch "Aljechins Gambit" legt den Schwerpunkt mehr auf das Belletristische und hat auch die viel geilere (sorry, Namenswitz) Schlusspointe.
Und man vergleiche auch mal mit dem literarischen Geniestreich "Die Schachspieler von Buenos Aires" von Ariel Magnus, ebenfalls eine wilde Mischung aus Dichtung und Wahrheit, um zu sehen, was ein Profi aus der formalen Idee machen kann.
Diagramme zum Selbststudium wurden nach Lust und Laune eingefügt, Vorrat an Glanzpartien war ja ausreichend vorhanden. (Ich hätte mir etwas unbekanntere gewünscht, aber egal.) Interessanterweise ist auch Te6! mit dabei. Der Rezensent gibt gerne mit seinem wikimäßigen Wissen (und seiner mittelmäßigen Spielstärke, er hätte a tempo Th6! entgegnet ) an: Aljechin sagte selbst dazu, diese Rettung in komplett verlorenen Lage gegen von "Soy una perdidor" Bardeleben hätte ihm dummerweise die Illusion beschert, daß er selbst die miesesten Positionen noch gewinnen könnte. (Keine Ahnung, aus welchem Buch ich das nun wieder hatte, aber es hätte so schön in Geilmanns Konzept gepasst.)
Best-of: Das Buch hielt noch einen sehr grimmigen Lacher für den Rezensenten bereit. Bekanntermaßen hat Aljechin sein politisches Mäntelchen immer in den Wind gehängt, und so wäre ihm die unsäglichen antisemitischen Pamphlete durchaus zuzutrauen gewesen, was unter Schachhistorikern immer noch umstritten ist. Der Autor gibt ein schönes Argument, daß er es auch wirklich war: Die Propaganda-Prüfabteilung der Nazis schimpft über die Schlampereien, die Aljechin sich hinsichtlich der Rassetheorie geleistet hat: ein "Jude" war gar keiner oder umgekehrt? Ja, das waren noch Zeiten: Nazis konnten Deutsch, waren gebildet, hatten Manieren und legten auf wissenschaftliche Korrektheit Wert. (OK, OK, für fuzzy Werte von "wissenschaftlich", und sie haben übrigens auch Europa in Schutt und Asche gelegt, aber das würden die neuen auch, wenn sie nicht solche Inkompetenzler wären.) Können wir nicht die alten Nazis wiederhaben?

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