Dieser Abend fand statt im Haus der Loge zu den drei Rosen (keine Angst, niemand hat die Absicht, eine Freimauer zu errichten) direkt am Gänsemarkt in der City (Opernbesucher kennen sich aus). Moderiert wurde er vom Leiter der Gesellschaft, Josh Goldberg - und ich möchte gleich mal etwas (freiwillige und unbezahlte!) Werbung für seine philosophische Theaterstück-Multilogie "Mann und Frau im Schlafgemach" machen, deren Drehbücher am Eingang zum schönen, fast zu kleinen Lessing-Saal auslagen und schon bei flüchtigem Durchblättern einen originellen Denker verraten. Zu schade, dass sich ein Angehöriger des Wissenschafts-Prekariats (#ichbinhanna) wie ich sich eh fast nie in ein Theater verirrt.
Der Vortrag wurde gehalten von Prof. Dr. Ulrich Sieg, Philosoph, ausgewiesener Lasker-Kenner (Autor des Standardwerkes "Schach - Philosophie - Wissenschaft"), und selbst passionierter starker Schachspieler. Ich hätte ihn nach dem Abend glatt zu einer Blitzpartie herausgefordert, hatte aber weder Blitzuhr noch Taschenschach dabei. Wobei, man hätte ja per App auf dieser Sklavenkugel des modernen Menschen, genannt Handy, spielen können...genau, hab ich nicht.
Wie schon erwähnt, viel mehr Leute hätten nicht reingepasst, denn es waren sicher auch Nichtschachspieler dabei (denn ich kenne jeden Hamburger Schachspieler, oder zumindest falls Elo>2000 oder Funktionär - ganz vorn dabei war z.B. das Ehepaar Schulz, verdiente Ehrenamtler des Hamburger Schachverbands).
Nun aber zum Vortrag selbst! Man erkannte sofort den gestandenen wissenschaftlichen Vortragenden (mit fast schon italienisch zu nennender Gestik, Mimik und Modulation). Und sogar für mich, eine sehr nervige wandelnde Wikipedia, hatte er Neues dabei. Wussten Sie, dass Emanuel Lasker, oder Immanuel, wie der Geburtsname etwas jüdischer geschrieben lautete, von deutschen Corpsstudenten zusammengeschlagen wurde (so berichtet jedenfalls seine Frau Martha)? Kein Wunder, dass er rechtzeitig "ibermachte", erst aus Deutschland, dann aus der Sowjetunion unter Stalin, bis er in New York endete. (Was die ultimate Pointe wäre – von Geburtsort Berlinchen über Studienbeginn in Berlin nach Berlin, Rensselaer – allerdings ist New York riesig, der Bundesstaat gleichen Namens noch größer und es ist unklar, ob er jemals genau dort war. Aber wir leben ja in einem Zeitalter, wo man sich die "Lulz" nicht von Fakten versauen lässt.) Und daß seine Philosophie eine des ständigen Kampfes war. Nicht dass Kampf unbedingt etwas Erstrebenswertes wäre, ich brauche wohl nicht zu erzählen, wer ein „Mein“ davorsetzte. Dies ist wohl mein einziges Desiderat zum Vortrag – noch etwas näher einzugehen auf die philosophischen und psychologischen Hintergründe Laskers, speziell als Jude in der Zeit des ultimativen Antisemitismus. Hat es vielleicht sogar seinen Stil beeinflusst, kurzgefasst, dauernd breit zu stehen und mit einem Schmu den Gegner am Ende noch zu besiegen? (Oder war das jetzt mein Stil?) Aber das hätte vielleicht den Rest des Publikums ermüdet. Zeit zum Nachfragen gab es ja nach dem Vortrag genug.
P.S. Extrem auffällig war, daß ich nicht annähernd Gesichtsältester im Publikum war. Wo war die Jugend? Wie bringt man sie davon ab, 24 Stunden am Tag asoziale Medien zu glotzen und (direkte Folge?) rechtsextrem zu verdummen? So eine Tüte Kultur könnte manchen noch nicht ganz Verlorenen dazu anregen, seinen saper zu auden, wie ein anderer Immanuel so schön formulierte.
2025. Sie spielen immer noch Schach und philosophieren. "Chaver, wenn das so weiter geht, wären wir als Juden nicht mal mehr in Alaska sicher!" "Nu! Was wäre denn deine Idee, etwa Grönland?"
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