R E I N   S U B J E K T I V E S

Dies ist nun das zweite Winterturnier, an dem ich teilnehme. Nachdem ich das erste Turnier als "Greenhorn" mehr schlecht als recht überstand, glaubte ich, mir diesmal Hoffnungen auf eine bessere Placierung machen zu dürfen, zumal ich wieder in die vierte Gruppe eingestuft wurde.
Als Überraschung gedacht, zumindest für die vierte Gruppe, beschäftigte ich mich damit, statt des gewohnten "e4" nunmehr "d4" nebst "c4" zu spielen.
Eingesetzt werden sollte diese "Geheimwaffe" erstmals in der Partie gegen Gerhard Speder, zu Beginn des Turniers von mir als stärksten Widersacher eingeschätzt. Ergebnis: Volltreffer! Im 41. Zug gab "Spezi" auf. Die Welt schien plötzlich völlig in Ordnung, blauer Himmel, lachende Sonne, bunte Blumen, hübsche Mädchen (?!? Red.). Und während ich mich meines Glücks freute, übersah ich natürlich die sich drohend am Horizont aufbauenden Gewitterwolken, die dem jungen Glück jederzeit ein Ende bereiten konnten.
Heino Wenzel, vier Spiele, vier mühelos erkämpfte Punkte, die Hand geöffnet, um nach dem Gruppensieg zu greifen, den ich schon sicher errungen zu häben glaubte. Ein Blick auf das "schwarze Brett" ließ mich vollends wanken, meine "Geheimwaffe'' war zun Rohrkrepierer degeneriert. Ich hatte Schwarz!
Es kam der entscheidende Spielabend. Schnell noch ein paar Beruhigungsgespräche wie "Wenn du verlierst, geht die Welt auch nicht unter" und ähnliches mehr. Das Spiel begann!
Wenzel-Ohl
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lb4?? (rums, das Herz fällt mir fast in die Hose.Aber warum zog ich den Läufer nach b4? Ich befürchtete, daß nach Sg5 das Feld f7 von Springer und Läufer attackiert wird und die einzige Rettung in Sh6 liegt. Falls dann noch nach "d4" der Lc1 meinen Springer auf h5 schlägt, ist alles aus.Um nun d3 oder d4 zu verhindern, spielte ich eben Lb4.) 4.c3 Lc5 (Tempoverlust nebst 1000 Drohungen in Zentrum.) 5.d4 exd4 (Ein Versuch, das starke gegnerische Zentrum etwas aufzuweichen) 6.cxd4 Lb6 7.O-O Df6 (Auf zur Attacke gegen das Zentrum, Gegenspiel bekommen, Depressionen aufgrund der beschi...Eröffnung überwinden) 8.Le3 d6 (Jetzt heißt es Tempo machen, Läuferdiagonalen öffnen, einen Vorstoß von e4 verhindern, evtl. lange Rochade vorbereiten, und mit dem Mut der Verzweiflung auf dem Königsflügel loszuschlagen. Hoffentlich nutzt Heino Wenzel seine dominierende Stellung im Zentrum nicht durch energisches Spiel im Zentrum aus. Was mache ich bloß, wenn er d5 spielt?) 9.h3 (Schade, mit Lg4 und Fesselung des Springers auf f3 nebst Angriff auf d4 wird es nun nichts mehr, aber man kann es ja mal auf die ganz dumme Tour versuchen.) 9...Dg6 10.Sc3?? Lxh3 (Den Seinen gibt's der Herr im Schlaf, neue Siegesstimmung verbreitet sich, jetzt bloß nicht lockerlassen.) 11.Sh4 Df6 (Dg4 trau ich mich nicht, das Zentrum ist noch zu stark für Weiß, um einen Abtausch der Damen zu erzwingen.) 12.Dh5 (Hoppla, das geht ja auch noch...aber da liegt ja evtl.ein Figurengewinn in der Luft, lange Rochade ist sowieso geplant, also jetzt die Dame angreifen.) 12...g6 13.Dd5 (genauso habe ich es mir gedacht.) 13...Le6 (Nach 14.Dg5 schlage ich ...Dxg5, dann 15.Lxg5 nebst Lxc4 und ich kann mich an einem gewonnenen Läufer freuen.) 14.Db5 (Auch gut, dann fällt mir eben der Springer in die Hände. Aber halt, der ist mir sowieso schon sicher, lieber vorher noch den starken weißen Läufer abtauschen.) 14...Lxc4 15.Dxc4 Dxh4 16.Sb5 (Was man bekommt, soll man nehmen, schnell weiterspielen, meine Zeit wird knapp.) 16...Dxe4 17.Tfe1 (Das hast du nun von deiner Habgier, einfach drauflosschlagen ohne nachzudenken, für einen Bauern fällt nun eine Qualität.) 17...O-O-O 18.Lg5 Df5 19.Lxd8 Kxd8 20.b4 Sf6 21.Dxf7 (Sollte mein Gegenüber etwa den gleichen Fehler wie ich begangen haben? Es sieht ganz so aus!) 21...Sg4 (Nun bibt es für Weiß nur noch die Möglichkeit des Damentausches nebst Bauerngewinn für mich auf d4.) 22.Dxf5 gxf5 23.a3 Sxd4 24.Sxd4 Lxd4 25.Te2?? (Eigentlich ist das Spiel schon vor diesen Zug für mich gewonnen gewesen, daher wohl auch dieser unkonzentrierte Fehlgriff.) 25...Lxa1 Weiß gibt auf.
Vielleicht werden Spieler größerer Spielstärke viele Züge dieser Partie belächeln, für mich wars dennoch ein schöner Sieg, der sicherlich noch befriedigender ausgefallen wäre, hätte Weiß im letzten Zug nicht den Turm stehengelassen.

Wolfgang Ohl

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