...und weiter geht unser Endlos-Psycho-Thriller...

Opfer der Schachgöttin

Ähnlich sieht das auch Diplompsychologe Heyken, der das Schach im doppelten Sinne als eine ganz eigene, "abgeschlossene Welt" bezeichnet. Die Schachfreaks haben einmal ihren eigenen Mikrokosmos auf dem Brett mit den 64 Feldern und den 32 Figuren und dazu ihre sozialen Kontakte fast ausschließlich mit Gleichgesinnten, mit denen sie sich - wenn sie nicht spielen - meist über Schachvarianten unterhalten. Sie leben in einem Männer-Milieu (nur vier Prozent der deutschen Schachvereinsmitglieder sind Frauen), in dem viele Matadore zumindestens eins ihrer Probleme nur schwer lösen können: ihren stark gehemmten Zugang zum anderen Geschlecht. Außer diesen Schwierigkeiten hat Heyken bei Schachkoryphäen "verstärkte Depressionsneigung, Dominanzstreben" sowie, biographisch, häufig den frühen Verlust des Vaters, festgestellt. Das trifft übrigens auch auf drei der letzten vier Weltmeister zu: Spassky, Fischer und Kasparow. Studzinski war immerhin schon siebzehn, als, sein Vater starb. Der heute 45jährige, der einmal ein wichtiges Turnier "wahrscheinlich wegen einer Frau" verloren hat, lebt immer noch allein mit seiner Mutter. Dominanzstreben offenbarte er im Gespräch nur daudurch, daß er den Ablauf selber bestimmen wollte. Studzinski hat sein Leben einigermaßen auf die Reihe gebracht. Er arbeitet als EDV-Programmierer bei einer Behörde, und im Schach ist er mit 400 Mark pro Partie am Brett 2 des 1.SC Damenspringer zufrieden. Er hat nur noch ein kleines Ziel: "Vielleicht mal an Brett 1 kommen".
An Brett 1 spielt Thomas Bochert. Borchert ist 35 Jahre alt und hat gerade, nach 22jährigem Bemühen, die notwendige Norm für den IM-Titel geschafft - ausgerechnet ein halbes Jahr, nachdem er sich entschlossen hatte, seine Profi-Versuche zu beenden und wieder etwas mehr Geld zu verdienen, als Packer bei einer Versicherungsgesellschaft. Der späte Erfolg wird ihn nicht rückfällig machen für das Profi-Schach, sagt er. "Ich habe lange gebraucht, bis ich endlich kapiert habe, daß ich nicht gut genug bin. Zwanzig Jahre lang war ich ein Träumer."
Auch ihn scheint seine Kindheit für ein Schach-Schicksal prädestiniert zu haben. Seiner Vater hat er gleich zweimal verloren. Den ersten, "leiblichen", kennt er gar nicht. Er wurde als Baby adoptiert, und sein Adoptivvater ließ sich scheiden, als Thomas fünf war.

24


Seite 23 INSELSCHACH 90 Seite 25