Eines Tages erfand Sissa Gnampf-Schach, in der Hoffnung, dass er dem grausamen Herrscher damit die Schönheit der öden Dinge näherbringen könnte. Sissa arbeitete jahrelang daran, zwei Königsfiguren zu schnitzen (die viiiiel zu kurzen Arme!), und stand eines Tages vorm Thron des großen Herrschers. Dieser war gerade damit beschäftigt, Buchseiten mit bunten Abbildungen vollzukritzeln. Sissa ibn Ichwillhierweg dankte insgeheim BROTT, dem Gott aller Brote, dafür, dass es noch keine Farbkopierer gab und stellte dem Herrscher mutig seine Spielidee vor. Der Regent war allerdings gar nicht begeistert, denn er fürchtete, dass die beiden Könige auf dem Spielfeld beliebter als er werden könnten. (Und damit lag er nicht verkehrt, denn selbst Kuhfladen war beliebter als der Herrscher.) Erbost ließ er seinen Zauberer rufen und verwandelte Sissa in ein furchtbares Ungetüm, und um ganz sicher zu gehen, schickte er ihn weit in die Zukunft.
Sich selbst aber wollte er belohnen und verfügte, dass auf das erste Feld des Schachbrettes ein Weizenkorn gelegt werden sollte. Auf das zweite Feld sollte die doppelte Menge gelegt werden, auf das dritte wiederum die doppelte Menge vom zweiten Feld und so weiter, könnt Ihr mir noch folgen? Dummerweise verstand der Kammerdiener den Herrscher nicht richtig und verstand Weizenkorn statt Weizenkorn. (Es gab schon damals kein ordentliches Personal mehr.) So stellte er also auf das erste Feld ein Glas Korn, auf das zweite Feld zwei, auf das dritte Feld vier, auf das vierte Feld acht Gläser und so weiter. Der König sprach: "Egal, was soll’s, nicht lange schnacken, Kopp in Nacken!" und fing an zu trinken. Hätte er durchgehalten, wäre er bei 18.446.744.073.709.551.615 Gläsern gelandet, aber er schaffte nur knapp die Hälfte, wie Dokumente, die mir vorliegen eindeutig beweisen. (Quelle.)
Und was wurde aus dem armen Gelehrten? Dem widerfuhr gar Schreckliches: Mitte des 19. Jahrhunderts wachte er in Wien auf und stellte fest, dass er nun Kaiserin Sissi war und ständig Kaiser Franz Josef um sich herumwuseln hatte. Das Gnampf-Schach geriet in völlige Vergessenheit. Auch Sissa/Sissi hatte keine Erinnerung mehr daran; er/sie hatte ganz andere Probleme, nachdem ihm/ihr eine Wahrsagerin prophezeit hatte, dass es im 20. Jahrhundert einen kitschigen Film über sein/ihr Leben geben würde.
Ihr fragt Euch nun sicher, wie es mir gelungen ist, das Gnampf-Schach aus dem Dunkel der Geschichte, aus dem ewigen Schlaf des Vergessens, aus dem finsteren Verlies des Nichtgespieltwerdens, zu befreien. Das war eigentlich ganz einfach. Ich blätterte in einem alten indischen Buch mit vielen bunten Bildern herum (zu Forschungszwecken, versteht sich), und da lag die Spielanleitung. Sissa hatte sie dort wohl in weiser Voraussicht versteckt. Entdeckt, gespielt: Hier zwei meiner Brote beim Gnampf-Schach. Beachtet den entspannten Gesichtsausdruck, diese vollkommene Langeweile, diese Ödnis, diese harmonische Eintönigkeit! Das Spiel ist übrigens auch für therapeutische Zwecke hervorragend geeignet! Bitte hier entlang.
Brotschach Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin "Fellmonsterchen" geklaut vom Bernd-Board

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